Bergsträßer Anzeiger, 01. November 2010 | Artikel: moni | Foto: Neu
Scharfe Kritik an Regierung und Banken
Demonstration: Bergsträßer Gewerkschafter und Erwerbslose gingen am Samstag in Bensheim auf die Straße
Bensheim/Bergstraße. „Neoliberal ist asozial“ ist auf einem Transparent zu lesen. Der gefräßige Hai mit massenhaft Euros im Maul wurde zur Symbolfigur der Demonstration in Bensheim, zu der der Deutsche Gewerkschaftsbund aufrief. „Streichen bei den Reichen, statt sparen bei den Armen“: Den Slogan laut rufend zogen 94 Teilnehmer am Samstag vom Bahnhof in die Innenstadt. An der Deutschen wie auch an der Commerzbank hielt man zu weiteren Kundgebungen inne.
Am Bahnhof war Treffpunkt. Die beiden Liedermacher Peter Kühn und Jochen Micknat stimmten musikalisch auf die sozialpolitische Schieflage ein. Wie Franz Beiwinkel vom DGB unterstrich, wolle man der zunehmenden Armut im Lande und der damit verknüpften gesellschaftlichen Ausgrenzung nicht mehr gelassen zusehen. Denn auf der anderen Seite senke die schwarz-gelbe Regierung die Steuern für Reiche, füttere die Banken mit Geld und sehe zu, wie ihre Manager hohe Gehälter und Abfindungen kassierten.
„Bevölkerung wird ausgeplündert“
Horst Raupp, Sekretär des DGB Südhessen ergänzte: „Schwarz-Gelb plündert die Bevölkerung hemmungslos aus, während gleichzeitig den Banken, den Konzernen, der Atomindustrie und den Hoteliers riesige Milliardenbeträge zugeschustert werden.“ Er sprach von einem Sozialkahlschlag, dem in den Betrieben und auf der Straße breiter gesellschaftlicher Widerstand entgegengesetzt werden müsse. Für die Krise dürften nicht ArbeitnehmerInnen, Erwerbslose und RentnerInnen allein zahlen müssen. Die Verursacher sollten zur Kasse gebeten werden: „die Banken, die Investmentfonds, die Zocker und Kasino-Kapitalisten“.
Raupp betonte, dass es an Geld im Lande nicht mangele. Er nannte Zahlen: In den letzten vier Jahren habe man die gewaltige Summe von eintausend Milliarden Euro von den Arbeitnehmern hin zu den Reichen und Superreichen umverteilt – durch Lohndumping, prekäre Beschäftigung, Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung und Privatisierung.
Finanzmärkte besser kontrollieren
Der DGB plädiert lautstark für eine Marschroute, bei der die Finanzmärkte wirksam kontrolliert werden, eine Finanztransaktionssteuer eingeführt wird und Reiche Vermögenssteuer zahlen. Er setzt sich gegen die Anhebung des Rentenalters auf 67 ein. „Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen flexibel aus dem Arbeitsleben ausscheiden können. Wer 40 Jahre gearbeitet hat, muss ohne Abschläge in Rente gehen können“, so Raupp.
Immer mehr Armut trotz Arbeit
Der DGB-Sekretär kritisierte, dass die Armut trotz Arbeit sprunghaft zugenommen habe. Acht Millionen Beschäftigte und damit 22 Prozent würden im Niedriglohnbereich arbeiten. „Wir brauchen keine Billigjobs, sondern gut bezahlte Arbeitsplätze und eine soziale Absicherung, die ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.“
Michael Dörr vom DGB-Kreisverband fasste in kabarettistisch launigen Worte die Position des DGB zusammen. Er ergänzte: „Wir brauchen keine neue Farbgebung in Berlin, wir brauchen eine andere Politik.“
Eva Petermann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft schilderte ihre Eindrücke von ihrem Besuch in Paris und resümierte: „Es täte gut, wenn sich auch hierzulande unsere Regierung durch uns bedroht fühlt und uns ernst nimmt“.
Peter Hetzler von der Erwerbslosen-Initiative Bergstraße „Andere Wege“ machte darauf aufmerksam, dass allein im Kreis Bergstraße zwischen 15 000 und 16 000 Menschen von Hartz IV lebten. Viele von ihnen gingen einer geregelten Vollzeitbeschäftigung bei einer Entlohnung nach, die unterhalb des Hartz IV Niveaus liegt – ein Skandal, wie er findet.
Denn auch auf diese Weise leisten die öffentlichen Kassen eine Unterstützung für die Industrie. Er unterstrich: „Wir brauchen grundlegende Standards, die jedem ein Leben mit gesellschaftlicher Teilhabe ermöglichen.“