Das ist ein Erfahrungsbericht von Heike T. über ihre Teilnahme an einer 50Plus-Maßnahme der Bergsträßer Jobcenter:
Bei meinem Erstgespräch bei der 50Plus-Mannschaft von Neue Wege wurde mir gesagt: „So, jetzt nehmen Sie an dieser Maßnahme teil und danach möchte ich Sie hier nicht mehr sehen.“
Die 50Plus-Maßnahme startete mit einem einwöchigen Motivationstraining. Geleitet von einem coolen Typ: „Entwickle Deine Vision und setze sie um.“ Dass zwischen Vision und Realität Welten liegen, hat inzwischen jeder der Teilnehmer begriffen.
Bei der Maßnahme lernt man auch Typ- und Stilberatung. Welche Farben und Schnitte kleiden mich. Dass man sich diese Klamotten nicht leisten kann, wurde völlig ignoriert, bzw. auf den Second-Hand-Laden verwiesen. Auch, dass man sich keinen Frisör, Zahnreinigung und anständige Schuhe leisten kann wurde ignoriert. Wenn ich mich für einen Job als Büro/Sekretariat vorstelle, benötige ich einen ordentlichen Haarschnitt und Strähnchen (80,–€ locker) und eine Zahnreinigung (80-120,–€). Von Schuhen und Klamotten, die der Jahreszeit entsprechen, ganz zu schweigen. Insgesamt war es eine Maßnahme, die man locker auf zwei Wochen hätte komprimieren können, die aber fünfeinhalb Wochen dauerte – für nix und wieder nix.
Gleich danach wurde mir nahegelegt, bei der Kombrecht-Engel-Schule in Bensheim eine sechsmonatige Eingliederungsmaßnahme zu absolvieren, und zwar im Bereich Garten- und Wegebau – weil ich mal erwähnt hatte, dass ich naturverbunden bin und ich gerne in einem ökologischen Umfeld arbeiten würde. Es ging unter anderem darum, Zäune zu bauen und Rasen zu mähen. Mit der Aussicht, eventuell im Frühjahr bei der Kommune ein vierwöchiges Praktikum zu ergattern. Die Leiterin von 50Plus saß neben mir, und hielt es für sinnvoll, dass ich diese Maßnahme besuche. Wer mich und meine körperliche Statur kennt, weiß allerdings, dass ich weder Wege pflastern, noch Zäune bauen kann.
Auch hier gab es wieder drei Monate Bewerbungstraining, was ich ja gerade erst in der vorigen Maßnahme absolviert hatte. Unterrichtet wurde vom ehemaligen Leiter des B-Punkt – (bei Neue-Wege unten der Empfangsbereich). Dieser Herr ist inzwischen so alt und verwirrt, dass er ständig den Faden verlor und nicht fähig war, auf einzelne Teilnehmer einzugehen. Soviel zum Thema Steuergeldverschwendung, die ja jedem Hartz IV´ler vorgeworfen werden.
Nach der Maßnahme war ich wieder zum Gespräch geladen. Man wollte mir wieder eine Eingliederungsvereinbarung für 50plus unterjubeln, was ich ablehnte. Die Reaktion darauf war: „Ich kann Sie auch per Verwaltungsakt dazu verpflichten.“ Worauf ich ihn fragte ob das jetzt eine Drohung sei, und dass ich aufgrund dieser Aussage für das nächste Gespräch einen Zeugen von Andere Wege hinzuziehen werde.
Ich solle doch unterschreiben, das Projekt 50Plus würde dafür Geld bekommen, antwortete er. Ich hab abgelehnt mit der Begründung, dass ich nur für Maßnahmen ansprechbar sei, die mir auf meinem weiteren Weg eine Hilfe sind. Darauf er: „Tja, dann mache ich jetzt ihre Akte jetzt zu, jetzt gibt`s dann nix mehr zu Wiedereingliederung für Sie“.
Von Frauen, die mit mir diese Maßnahme besucht hatten, wurde mir berichtet, dass bei den Gesprächen hinterher ganze drei Fallmanager mit im Zimmer saßen, und sie mit Sprüchen wie „Man muss auch mal was wegstecken können“ und „Haben Sie sich schon mal überlegt, ein freiwilliges soziales Jahr beim Behindertenverein Bergstraße zu absolvieren?“ zugetextet wurden. Nur damit sie ihre Statistik frisieren können. Man muss verstehen, die stehen selber ganz schön unter Druck. Ohne genug Teilnehmer wird das Projekt 50Plus gestrichen und die Fallmanager werden selber arbeitslos. Die haben selbst Angst vor Arbeitslosigkeit, wurde mir von einem Fallmanager gesagt.
Diese Polemik spiegelt eine typische Verweigerungshaltung wieder: Kann ich nicht, will ich nicht, bringt mir nichts. Alle sind unfähig – außer mir, aber alles ist so schwer und irgendwie bin ich überqualifiziert.
Na, wir wissen ja nicht, auf welchen Beitrag sich dein Kommentar bezieht, aber in diesem steht kein Wort von „kann ich nicht“ (wie soll man auch etwas nicht können, wenn man doch „überqualifiziert“ ist 🙂 ). Tatsächlich berichten uns viele Leute, die an diesen Maßnahmen teilnehmen, von ähnlichen Erfahrungen. Und ja: Die meisten sind tatsächlich überqualifiziert. Weshalb es aus unserer Sicht sehr vernünftig erscheint, die Teilnahme an Maßnahmen abzulehnen, die keine wirkliche Perspektive bieten.
Klasse zu lesen, informativ und alles im Inhalt, was wichtig ist.
Merci…..hat auch 2015 noch Aktualität.