Zum Umzug der Tafel ins Ex-Bundeswehrdepot

Die Berichterstattung über den Umzug der Bensheimer Tafel vom Hospital ins ehemalige Bundeswehrdepot liest sich wie eine Erfolgsmeldung: neue Räume, mehr Nutzfläche, 185 Mitarbeiter und mehr als 2000 zufriedene Kunden. Das klingt prima, und wäre es auch – wenn es sich dabei nicht um die Verwaltung eines rapide wachsenden sozialen Elends handeln würde. Die anfangs als vorübergehende Einrichtung gedachte Initiative hat inzwischen das Ausmaß eines mittelständischen Unternehmens angenommen.

Zeitgleich freut sich die Agentur für Arbeit in diesem Monat über die mit 6,0 Prozent niedrigste Arbeitslosenquote seit 24 Jahren. Dass jeder vierte Erwerbstätige mittlerweile in prekären Verhältnissen arbeitet (Zeitarbeit, Praktika, Minijobs, Aufstocker) und von seinem Einkommen nicht leben kann, steht nicht dabei.

Auch dass im viertreichsten Land der Welt nach Angaben des Kinderschutzbundes inzwischen jedes fünfte Kind unter 18 Jahren in Einkommensarmut lebt ist Ausdruck davon, dass Deutschland durch die Agenda 2010 zum größten Niedriglohnsektor in Westeuropa gemacht worden ist. Eine Errungenschaft, für die unsere Bergsträßer Bundestagsabgeordneten Christine Lambrecht (SPD) und Dr. Michael Meister (CDU) hart gearbeitet haben.

Die Weigerung des Optionsbetriebs Neue Wege, die von ihnen für Hartz IV-Bezieher gezahlten Mieten den realen Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt anzupassen, trägt seit Jahren ebenfalls dazu bei, dass die Zahl der Tafel-Kunden steigt. Mehr als 1000 der rund 6000 Bedarfsgemeinschaften müssen nach eigenen Angaben von Neue Wege jeden Monat im Schnitt 84 Euro von ihrem Arbeitslosengeld abzweigen, um keine Wohnungskündigung zu riskieren. Da bleibt nicht mehr viel Geld für Lebensmittel übrig. Beängstigend ist auch die steigende Zahl von Rentnern, die inzwischen vom Service der Tafel leben müssen.

Es ist begrüßenswert, dass sich viele Menschen ehrenamtlich als Helfer bei der Tafel engagieren. Der Trend, sinnvolle Sozialpolitik durch Tafeln, Kleiderkammern und andere Einrichtungen zu privatisieren, muss aber gestoppt werden. Dass immer mehr enttäuschte Menschen den Rattenfängern von Pegida + Co nachlaufen ist nicht zuletzt das Ergebnis dieser unsozialen Politik. Der Umzug und die Ausweitung der Tafel ist jedenfalls keine Erfolgsmeldung, sondern im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis für diese Republik.

(Andere Wege, 29.10.2015)

4 Kommentare zu „Zum Umzug der Tafel ins Ex-Bundeswehrdepot“

  1. Ich gebe Ihnen recht, Kinderarmut ist eine Schande. Ich ärgere mich aber, dass Sie Zeitarbeit und Minijobs mit prekären Beschäftigungsverhältnissen gleichsetzen. Mein Mann arbeit schon seit 12 Jahren für eine Zeitarbeitsfirma und erhält dort den Tariflohn seiner Branche, ich seit 8 Jahren in einem Minijob, der mir flexible Zeit für meine Familie lässt. Wir kommen damit sehr gut über die Runden und sehen uns nicht als Teil eines Prekariats. Vielen Langzeitarbeitslosen haben eine hohe Erwartungshaltung, sind aber nicht bereit einfach mal zuzupacken und für das eigene Einkommen zu sorgen. Ich würde lieber aufstocken, als gar nichts zu meinem Lebensunterhalt beizutragen.

    1. Schön, dass es bei Ihnen zum Leben reicht. Leider ist das bei vielen Menschen, die Zeitarbeits- oder Minijobs machen, nicht der Fall. Das sind diejenigen, die trotz Job aufstocken müssen. 😦

  2. Ich glaube der Autor kennt die Arbeit der Tafeln nicht. Sie sind ein Resultat bürgerlichen Engagements. Sie haben weder etwas mit der Arbeitsagentur noch mit den Neuen Wegen zu tun. Hier wird Lebensmittelverschwendung bekämpft und gleichzeitig ein soziales Angebot unterbreitet. Als Mitarbeiter einer Tafel muss ich ganz eindeutig zu sagen, dass ich es als schäbig emfpinde, wenn hier die Tafeln als Handlanger einer verfehlten Sozialpolitik dargestellt werden. Man sollte nicht immer nach dem Staat schreien, sonder viel mehr sich selbst engagieren – anstatt nur zu meckern.

    1. Sorry, da kam wohl etwas falsch rüber.

      Natürlich finden wir die Tafeln wichtig. Und natürlich finden wir es toll, dass sich dort viele Menschen engagieren – wie jetzt auch in der Flüchtlingspolitik. Die Stellungnahme richtet sich weder gegen die Tafel, noch gegen ihre Mitarbeiter, sondern gegen einen Staat, der Sozialpolitik immer mehr in den privaten Bereich ausgliedert, statt dafür zu sorgen, dass der Niedriglohnsektor verschwindet und die Menschen von ihrer Arbeit und ihrer Rente leben können.

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