Bürgergeld ist Bürger-Hartz

Aus Raider wird Twix, sonst ändert sich nix – mit diesem Satz kann man die Umwandlung von Hartz IV in das neue Bürgergeld treffend zusammenfassen. Alle Elemente der Drangsalierung und Entmündigung von Erwerbslosen sind nach wie vor in dem Gesetz enthalten.

Sanktionen bis zu 100% der Regelleistung sind nach wie vor möglich, wenn das Jobcenter beispielsweise „fehlende Mitwirkung“ moniert. Wie schwammig dieser Begriff ist, sieht man daran, dass Sozialgerichte landauf landab in gut 50% aller Fälle Widersprüchen gegen solcherlei Sanktionen stattgeben – was aber bis zum Sozialgerichtstermin, der aufgrund der Überlastung der Gerichte erst Monate später stattfindet, ein Leben ohne Geld für Nahrung, Miete und selbst ohne Krankenversicherung bedeutet.

Auch bei der Nichtberücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten wegen angeblicher „Unangemessenheit der Miethöhe“ gibt es keine Besserung. Zur Zeit müssen rund 400.000 Hartz IV-Haushalte bundesweit durchschnittlich 91 Euro für Miete pro Monat vom kargen Regelsatz abzwacken – obwohl jeder weiß, dass die wenigen freien Wohnungen, die es zur Zeit überhaupt noch gibt, allesamt überteuert sind.

Die größte Unverschämtheit ist der nach wie vor künstlich heruntergerechnete Regelsatz von 502 Euro. Nicht nur der Paritätische Wohlfahrtsverband, auch andere Sozialverbände kritisieren die amtliche Berechnungsmethode als ungeeignet, das verfassungsrechtlich gebotene soziokulturelle Existenzminimum abzusichern. Nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle müssten die Leistungen hierzu auf mindestens 725 Euro angehoben werden – was einer Erhöhung von rund 50 Prozent entspricht.

Hinzu kommen die hohen Energiepreise. Im Regelsatz sind für Strom völlig unzureichende 15,43 Euro pro Monat vorgesehen. Diese Kosten müssten wie die Kosten für Heizung zusätzlich zum Regelsatz gezahlt werden, statt Teil des Regelsatzes zu sein.

Statt der ewigen Leier von Politik und Unternehmen, ein Lohnabstand müsse eingehalten werden, sonst lohne sich Arbeit nicht mehr, deshalb müsse der Regelsatz niedrig bleiben, sollte man besser die Löhne auf eine vernünftige Höhe anheben. Mehr als jeder fünfte Hartz IV-Bezieher ist heute schon Aufstocker, weil er trotz Fulltime-Job von seinem Gehalt nicht leben kann.

Schlimm ist in diesem Zusammenhang, dass der niedrige Regelsatz auch für Bezieher von Grundsicherung im Alter gilt. Gerade im Alter ist man oft auf spezielle Zusatznahrung angewiesen – von medizinischen Produkten gar nicht zu reden.

Positiv an dem neuen Gesetz ist lediglich, dass Qualifizierung künftig Vorrang vor Vermittlung hat. Bislang mussten Erwerbslose jeden Job bis zu 30% unter Tarif annehmen – selbst wenn er nichts mit ihrer bisherigen Ausbildung zu tun hatte. Wie und wo diese Qualifizierung stattfinden soll, ist angesichts personell chronisch unterbesetzter Jobcenter allerdings fraglich. Die bisherigen Maßnahmen, die unter dem Begriff „Qualifizierung“ gelaufen sind, waren oft mehr Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für pfiffige Start-up-Unternehmer, die mit Allerweltsschulungen Geld abgezockt haben.

Insgesamt ist die Regierung mit ihrem Anspruch, aus Hartz IV ein Gesetz zu machen, mit dem Erwerbslose auf Augenhöhe behandelt werden, gescheitert. Nicht mal das eigentliche Ziel der ganzen Aktion, nämlich den leidigen Namen Hartz IV loszuwerden, haben sie damit erreicht. In Sozialverbänden und Erwerbsloseninitiativen wird neue Gesetz längst Bürger-Hartz genannt.

Andere Wege, 1.1.2023

14 Jahre lang zu wenig Miete

Heimlich, still und leise hat Neue Wege in den letzten Wochen die Mietobergrenzen erhöht. Und damit anerkannt, dass den Erwerbslosen im Kreis Bergstraße seit Bestehen des Optionsbetriebs zu wenig Miete gezahlt worden ist.

Über die Höhe der von Neue Wege anerkannten Mietobergrenzen hat es seit Einführung von Hartz IV Streit gegeben. Wir hatten schon zu Beginn – damals noch in Zusammenarbeit mit der Caritas – drei Monate lang sämtliche Wohnungsangebote in Print- und Onlinemedien überprüft. Ergebnis: Die von Neue Wege gezahlten Mieten waren im Schnitt 20 Prozent zu niedrig.

Doch Neue Wege ändere nichts. Zur Ermittlung der Obergrenzen hatte der Optionsbetrieb eine eigene Statistik entwickelt, und deren Legitimität damit begründet, dass das Sozialgericht sie anerkannt habe. Dabei hatte das Gericht lediglich honoriert, dass es überhaupt eine Statistik gab. Die Art der Berechnung ist vom Gericht nie überprüft worden. Gelegentliche kleine Erhöhungen änderten nichts Grundlegendes.

Darüber haben wir – mehrmals – mit Vertretern aller im Kreistag vertretenen Parteien gesprochen. Wir haben Presseerklärungen geschrieben und auf Veranstaltungen auf das Problem hingewiesen. Immer und immer wieder. Reaktion: keine. Obwohl selbst nach eigenen Statistiken von Neue Wege jeder Fünfte zeitweise mehr als 100 Euro von seinem ohnehin schon mageren Arbeitslosengeld abzwacken musste, um die Differenz auszugleichen. Selbst als wir vor fünf Jahren mit einem Vertreter des Instituts für Wohnen und Umwelt (IWU) gemeinsam mit Neue Wege deren Statistik untersucht haben und der IWU-Vertreter feststellte, dass der Berechnung falsche Parameter zugrunde liegen, hat sich nichts geändert. Das IWU berät bundesweit Gerichte und Regierungen in genau dieser Frage.

Schließlich wurde der Druck so stark, dass Neue Wege das Problem vom Hals und die Mietberechnung außer Haus geben wollte. Am Ende bekam ausgerechnet das IWU den Zuschlag. Ergebnis: Die Obergrenzen müssen jetzt um durchschnittlich 20 bis 30 – in einigen Fällen um fast 50 – Prozent angehoben werden. Manche Haushalte bekommen bis zu 180 Euro mehr, die sie vorher von ihren 424 Euro Arbeitslosengeld zuzahlen mussten.

Das ist ist aus unserer Sicht natürlich erfreulich – auf der anderen Seite aber auch eine politische Bankrotterklärung ersten Ranges. Weniger von der Leitung von Neue Wege, als von den Politikern, die die viel zu niedrigen Mietzahlungen 14 Jahre lang allen Protesten zum Trotz verantwortet haben. Doch die Rechte von Erwerbslosen auf angemessene Mietzahlungen haben offenbar keinen der Verantwortlichen interessiert.

Mehr noch: Mit der Behauptung, es gebe genügend preiswerten Wohnraum, man müsse ihn nur finden, hat die Politik die Protestierenden zu Idioten erklärt, die einfach nur zu blöd seien, Zeitung zu lesen. Zur materiellen Not kam damit die Entwürdigung. Diese 14 Jahre lange Ausgrenzung der Betroffenen spiegelt exakt die Art von selbstgefälliger Ignoranz, die dazu führt, dass die etablierten Parteien sich gerade nach und nach selber abschaffen.

Andere Wege, Juli 2019

PS: Zu den aktuellen Obergrenzen gibt hier die exakten Zahlen.

Dekanate fordern KdU-Erhöhung

Die katholischen und evangelischen Dekanate haben in einem Rundschreiben an die Verantwortlichen des Kreises Bergstraße und des Eigenbetriebs „Neue Wege“ die Erhöhung der Mietobergrenzen (KdU) im Kreis Bergstraße gefordert. Dieses Schreiben wird auch von uns und zahlreichen anderen sozialen und karitativen Organisationen unterstützt.

Den kompletten Wortlauf findet ihr in dieser pdf-Datei.
Die aktuellen von „Neue Wege“ festgelegten Mietobergrenzen für den Kreis Bergstraße und ein Vergleich mit der  Wohngeldtabelle findet ihr hier.

Update 4.9.2017:

Heute kam die Antwort: „Die letzten Anpassungen erfolgten zum 01.10.2016 im Vergleichsraum Ried 1 und zum 01.01.2017 im Vergleichsraum Viernheim.“ Seitdem sind die Mieten bundesweit gestiegen – nur im Kreis Bergstraße nicht?

„Für die Folgejahre planen wir (…) die Erarbeitung eines neuen schlüssigen Konzeptes unter wissenschaftlicher Begleitung.“ Also ist das bisherige Konzept nicht schlüssig?

Dass Neue Wege an einem neuen Konzept arbeitet, hören wir seit Jahren in immer neuen Variationen. Rausgekommen ist dabei bislang – nichts. Das ist die Sozialpolitik von CDU, SPD, Grünen und Freien Wählern (die waren in wechselnden Koalitionen bislang für die Festlegung der Mietobergrenzen zuständig)

Den kompletten Antwortbrief könnt ihr hier nachlesen.